In den letzten eins, zwei Jahren war es stets ein Duell auf Augenhöhe. Wenn die JSpG DRHV 06/SG Kühnau auf die HG 85 Köthen traf, waren aufregende, spannende und vor allem emotionale Begegnungen vorprogrammiert. Das war aber längst nicht immer so. Die jetzige B-Jugend der Dessauer startete gemeinsam unter Trainer Christian Peschek in der D-Jugend. Für fast alle Spielerinnen war es die erste Handball-Saison überhaupt. Gegen die Handballmacht aus Köthen geriet man ordentlich unter die Räder. Peschek formte das Team jedoch rasend schnell und so wurde man nach und nach nicht nur konkurrenzfähig, sondern konnte auch den Spitzenteams durchaus das Wasser reichen. Im Ligabetrieb konnte man die Köthener jedoch bislang noch nicht bezwingen. Beim letzten Aufeinandertreffen bei den Landesmeisterschaften im Januar 2020 führten die Dessauer sogar kurz vor Schluss, doch am Ende drehten die Köthener in der letzten Minute die Partie und gewannen mit 19:18. Jubel bei der HG, Tränen bei der JSpG…
Am vergangenen Sonntag trafen beide Teams nun wieder aufeinander. Keine guten Vorzeichen der JSpG DRHV/Kühnau, denn mit Julie Bertram fehlte gleich im ersten Spiel der neuen Saison eine wichtige Spielerin. Sie wird aufgrund einer Verletzung erst wieder im Dezember angreifen können. Dennoch lautete das selbstbewusste Ziel: Wir wollen Köthen schlagen! Auf Seiten der Köthener war man sich bei der Frage der Zielstellung gar nicht so sicher. Immerhin sind einige der Top-Spieler inzwischen in der A-Jugend aktiv und zudem ist mit Luisa Kupatt ein ehemaliger Leitwolf an die Sportschule nach Frankfurt (Oder) gewechselt. Mit Rika Müller besitzt die HG jedoch weiterhin eine Unterschiedsspielerin in ihren eigenen Reihen.
Den besseren Start erwischten dann zunächst die Gastgeber. Annelie Turzer brachte die JSpG DRHV/Kühnau nach acht Minuten mit 4:2 in Führung. Anschließend erwachten dann aber die Gäste und waren fortan nicht mehr zu bremsen. In der Abwehr agierten die Köthener konsequent. Für Dessau ergaben sich keine Lücken und die Bälle aus dem Rückraum waren zumeist sichere Beute für Torhüterin Pia Grabitzki. Im Angriff liefen die Spielzüge über Rika Müller, die mehrere Gegenspieler an sich zog und somit viel Platz für ihre Mitspieler schaffen konnte. Nach einem 9:2-Lauf führte die HG in der 22. Minute nun schon mit 11:5. Die Dessauer spielten bis dato keine gute Partie. Gegen die stark aufspielenden Gäste fehlten die zündenden Ideen. Zur Halbzeit dann eine souveräne 12:7-Führung für die HG 85 Köthen.
Anschallen! Denn der zweite Durchgang wurde mächtig turbulent. Die Gastgeber brannten in den ersten Minuten ein ordentliches Feuerwerk ab. Vier Tore in Folge und schon verkürzte Pia Peschek für die JSpG in der 34. Minute zum 11:12. Köthen nahm den Kampf an. Rika Müller konterte und netzte zum 13:11 für die Gäste ein. Doch die Dessauer wurden immer stärker. In der Abwehr ergriff Kreisläuferin Gemma Engelmann die Initiative, forderte ihr Team zum Kämpfen auf und auch Torhüterin Emilie Elsper bekam immer mehr Hände an den Ball. In der 38. Minute konnte Tine Parusel ihr Können endlich mal unter Beweis stellen. Sie netzte zum wichtigen 13:13-Ausgleich ein. Es folgte eine unglaublich spannende Schlussphase. Die Gastgeber waren mittlerweile der Chef im Ring. Pia Peschek traf zunächst zur 14:13-Führung für die JSpG. Anschließend die Köthener mit dem Ball, doch erneut war es Gemma Engelmann, die den Ball von den Gästen erobern konnte. Sie zeigte in der zweiten Halbzeit eine überragende Abwehrleistung. Der nächste Dessauer Angriff endete dann mal wieder mit einem Pfiff der Schiedsrichter. Pia Peschek marschierte mittlerweile schon zum neunten Mal an die Siebenmeter-Linie. Auch diesmal blieb sie wieder cool. Auch dieser Ball zappelte im Netz und so führten die Gastgeber in der 42. Minute mit 15:13. Noch waren allerdings knapp sieben Minuten zu spielen.
In den folgenden Minuten erlebten beide Teams eine emotionale Berg- und Talfahrt. Die JSpG-Trainer Diana Böhler und Florian Kaufmann rauften sich die Haare. Immer wieder hatten die Dessauer die Chance zur Drei-Tore-Führung, doch der Reihe nach vergab man etliche Möglichkeiten. Im Gegenzug schlugen beide HG-Trainerinnen die Hände über den Kopf. Ein Konter: „Knackefrei“. Doch der Ball landete nicht im Tor. Die vielen Zuschauer in der Halle feuerten beide Teams lautstark an. Es sah nach dem besseren Ende für Dessauer aus. Nele Böhme verkürzte für die HG zwar zweieinhalb Minuten vor Schluss zum 15:14, doch das Momentum war auf Seiten der Gastgeber. Emilie Elsper mit einer weiteren Parade. Es lief die letzte Minute. Dessau nun mit der Chance zur Entscheidung, doch Celina Garnatz und Annelie Turzer mit einem Missverständnis. Der Pass landete im Aus. Ausgerechnet jetzt…
Und so kamen die Köthener an den Ball. Rika Müller mit einem tollen Pass an den Kreis und dann erzielte Emma Köhler knapp 20 Sekunden vor Schluss den 15:15-Ausgleich. Sofort rannte Trainer Florian Kaufmann zum Kampfrichtertisch und nahm die letzte Auszeit. Doch die Uhr lief weiter und wurde zu spät gestoppt. Nun musste erst einmal verhandelt werden, wie viele Sekunden für den letzten Angriff noch einmal dazukommen. Statt 15 Sekunden, wie auf der Anzeigetafel angezeigt, hatten die Dessauer 20 Sekunden Zeit, doch noch das Siegtor zu erzielen. Der Ball lief durch die Reihen und die Uhr tickte herunter. Noch drei Sekunden waren zu spielen, da kam der Pass von Pia Peschek an den Kreis zu Gemma Engelmann. Diese holte mit der Schlusssirene wiederum einen Siebenmeter heraus. Was für ein Drama! Pia Peschek, die zuvor schon neun Siebenmeter verwandelte hatte, stellte sich an die Linie!
Pia Peschek gegen Pia Grabitzki. Die Wahrscheinlich stieg, dass die Köthener Torhüterin nach so vielen Versuchen nun die Ecke der Schützin ausgemacht hatte. Pia Peschek mit der Chance zur Entscheidung. Nervenflattern oder eiskalt zehn von zehn? Und die Dessauerin war am Sonntag einfach nicht zu stoppen! Sie netzte zum entscheidenden 16:15 ein. Direkt danach stürmten all ihre Mitspielerin zu ihr und jubelten über den knappen Sieg der JSpG.
Diesmal war es also umgekehrt. Großer Jubel bei den Dessauern und Tränen bei der HG. Ein tolles, ein aufregendes, spannendes und wirklich sehr emotionales Spiel in der Sporthalle der Friedensschule. Die Freude bei den Gastgebern war natürlich groß. Fairerweise sollte man jedoch erwähnen, dass bei den elf Siebenmetern für den Geschmack von Team Sportstadt durchaus auch ein paar Pfiffe hätten ausbleiben können. Aber so ist der Sport. Der erste Sieg in einem Pflichtspiel gegen die Köthener sei den Dessauern nach der tollen Aufholjagd und der sehr starken zweiten Halbzeit dennoch gegönnt.